Drachenfutter

Sonntagabend: Herr Schobermann sah sich im Fernsehen gemütlich „TERRA X“ an.

Die Gattin kam vom wöchentlichen Frauensonntagsgeplauder mit ihrer ältesten Tochter und fragte ihren Mann: „Na, wie ist es dir ergangen?“ —-“Es geht so.“

Hat jemand angerufen?“

„Nein!“

„Hast du jemanden angerufen?“

„Nein!“

„Aber ich habe doch ganz deutlich deine Stimme gehört!“

„Ach so, über die Sendung hatte ich das ganz vergessen.“

„Eine Frauenstimme habe ich auch vernommen. Der Name „Birgit“ fiel mehrmals.“

„Ach so, das war Frau Dr. Birgit Hasenkamp. Sie hat unserem Enkel Florian aus München damals über ihre Tochter in Hamburg-Eppendorf eine Praktikumsstelle besorgt. Erinnerst du dich nicht mehr?“

„Hat Florian das je bestätigt?“

„Nein, ich kriege diesen Kerl ja nie zu fassen. Der meldet sich nicht. Ich kann ihn nie erreichen.

Sein Vater sagt, er müsse so viel arbeiten!“

„Was macht denn die Birgit beruflich?“

Sie leitet eine Abendschule und hat dadurch gewaltige Beziehungen zu Leuten aus Politik und Wirtschaft.“

„Hast du was mit der?“

„I wo, wir tauschen lediglich Gedanken aus.“

„So so, Gedanken austauschen nennst du das. Was würdest du sagen, wenn ich mit Männern in deiner Abwesenheit Gedanken austauschte?“

„Es ist nicht so, wie du denkst. Hast du mir nachspioniert?“

„So etwas würde ich doch nie tun! Aber mir fällt auf, dass du immer am Sonntagabend, wenn ich oben bin, mit einer Birgit telefonierst. Was bedeutet sie dir denn?“

„Sie schimpft nie mit mir, und wir tauschen z.B. Spargelrezepte aus.“

„Spargelrezepte? Willst du mich veralbern?“

„So etwas würde ich doch nie tun! Auch Kochrezepte zählen zum Erfahrungs- und Gedankenaustausch. Ich wollte beim Telefonieren ungestört sein, und daher nutze ich die Zeit, wenn du oben bist.“

„Aha, du nutzt die Zeit! Ich sollte nicht dabei sein. Ihr habt Geheimnisse vor mir!“

„Sei nicht albern. Ich bin ein alter Zausel, und sie ist eine junge, hübsche, blühende Frau.“

„Das sagt gar nichts. Man hat schon Eichhörnchen vor der Apotheke (…) gesehen.“ (Diese Redewendung wirkt erst, wenn man das fehlende vulgäre Wort nach „Apotheke“ einsetzt.)

„Hast du gelauscht?“

„Nein, ich habe nur meine Brille aus der Küche holen wollen und hörte dann vom Esszimmer aus mit!“ Nach einer Schweigepause der Betroffenheit:

„Du kannst gehen, wenn du willst. Ich halte dich nicht!“

Drei Tage lang gingen die Schobermanns getrennte Wege. Weitere Gespräche fanden zwischen ihnen nicht statt. Sie arbeitete meist im Garten und mähte dreimal hintereinander, was sie sonst ihrem Gatten überließ.

Was soll ich ihr zum „Wiedergutmachungs-Versöhnungsgespräch“ anbieten?“ fragte sich Herr Schobermann.

Zum Beispiel: „Ich rufe nur noch jemanden an, wenn du dabei bist“?

„Oder was sonst?“ Schobermann fiel justemang der Mann an der Kasse im Supermarkt ein. Aus der Pflanzen-Abteilung hatte der sich einen großen üppigen Blumenstrauß geangelt.Herr Schobermann stand hinter ihm in der Schlange und hörte die Kassiererin laut rufen: „Aahhh, heute gibt es mal wieder Drachenfutter! Steht es so schlimm? Ich drücke Ihnen die Daumen! Nach drei Tagen renkt sich alles wieder ein, Sie werden sehen… Ich kenne das zur Genüge!“

Die beiden schienen sich schon lange zu kennen, sonst hätte sie nicht hinzugefügt: „Wenn’s ganz schlimm wird, meine Tür steht immer für Sie offen!“

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