„Kennen Sie das, dass Sie einem Doppelgänger aufgesessen waren und nicht gemerkt haben,
dass der vermeintlich „Echte“ Ihnen aus Jux nur zugehört hat, um sich nicht zu verraten?“
gab Herr Schobermann am Stammtisch preis.
Die so Angesprochenen nickten. Sie kannten das.
Herr und Frau Schobermann waren zum 17. Geburtstag einer Enkelin eingeladen.
Großes Hallo beim Empfang. Sich kümmern, damit die Mitbringsel nicht zerdrückt oder beschädigt wurden, war eine Sache.
Die allgemeine Begrüßung eine andere.
„Rolf, wir haben es noch immer nicht geschafft, dich zu besuchen!“
„Macht überhaupt nichts!“ erwiderte der Angesprochene.Rolf ist der Sohn von Schobermanns Schwiegersohn.
„Hey, Rolf, hast du dich aber verändert!“
„Ja, Onkelchen, die Zeit bleibt nicht stehen!“
„Wem sagst du das! Du trägst ja plötzlich einen Bart!“
„Ja, öfter mal was Neues. Meine Freundin findet ihn schick!“
Schobermanns Ehefrau wurde ebenfalls von Rolf umarmt. Das obligatorische Küsschen rechts und links auf die Wange gehörte mit dazu.
„Hallo, Tantchen! Wie geht es dir? Lange nicht gesehen und doch wiedererkannt!“
„Wieso nennt Rolf mich plötzlich Tantchen?“ , flüsterte Frau Schobermann ihrem Gatten ins Ohr.
„Komisch, mich hat er auch mit „Onkelchen“ angeredet. Hat er noch nie gemacht.
Wer weiß, vielleicht ist er in Sekt- und Feierlaune.
Am Tisch gab es zur Begrüßung erst einmal Sekt. „Auf das Geburtstagskind!“
Das Geburtstagskind hatte sich wie ein Mannequin bei einer früheren Misswahl gekleidet.
Ein kleines glitzerndes Diadem auf dem Kopf und über dem rosa Kleid eine breite leuchtend blaue Schärpe.
„So nun erzählt mal!“ Alle redeten durcheinander. Jeder wollte was sagen.
Bis die Schobermanns auf ein künftiges Praktikum der Hauptperson angesprochen wurden.
Jedoch galt deren Interesse zunächst dem Einundzwanzijgjährigen, der sie so eigenartig angeredet hatte.
„Nun schieß‘ mal los, Rolf! Ich wusste gar nicht, dass du eine Freundin hast! Wie läuft denn dein Innendienst bei der Polizei? Hast du schon Verhaftungen vorgenommen?“
Der mit Rolf Angesprochene gab zum Besten : „Ja, Onkel, es gibt viel zu tun, wie überall.
Die Personalknappheit, du weißt schon. Aber das Meiste steht unter Datenschutz, ich meine, Geheimhaltung. Ich darf keine Interna nach außen tragen.“
Alles lachte. Die Schobermanns verstanden den Witz nicht.
„Was gibt es denn da zu gackern? Und wieso nennst du mich Onkel? Jobbst du denn noch nebenbei, so wie früher?“
„Ja, Onkel, ich habe zwei Nebenjobs!“
Die bereits Erheiterten in der Tischrunde lachten sich schief!
„Ist das denn im Öffentlichen Dienst neuerdings erlaubt, nebenbei woanders zu arbeiten?“
Alle, die den „Rolf“ öfter als Herr Schobermann sehen, wieherten, was das Zeug hielt. „Ha, ha, ha, er hat nebenbei zwei Jobbs!“ Sie konnten sich gar nicht mehr einholen vor Lachen.
„Nun ist es aber genug!“ donnerte Opa Schobermann in die Runde. „Was habt ihr denn alle?“
„Onkelchen,Onkelchen, das ist gar nicht der Rolf. Das ist Luka, der Freund vom Lennart!“
Man hätte das Gesicht der beiden Schobermanns sehen sollten, al sie begriffen, dass sie dem „Rolf-Verschnitt“ auf den Leim gegangen waren.
„Ihr Daxgemuidigten! Ihr Dächslinge! Ihr Satansbrut!“ rief Herr Schobermann wie immer aus, wenn er sich hinters Licht geführt sah. Den Dachs hielt er immer für besonders gewitzt und schlau, daher diese Art der Rede-Angewohnheit.
Nun war in der Tat der Luka dem Rolf wie aus dem Gesicht geschnitten! Man hätte sie durchaus als zweieiige Brüder ansehen können. Das gab auch jeder der Anwesenden zu.
Wenn man jemanden lange nicht gesehen hat, verblasst ein wenig das Bild, was man in der Erinnerung hatte.
So zum Beispiel beim letzten Klassentreffen, wie sehr sich Schobermanns ehemaligen„Zöglinge“
verändert hatten. Die Hälfte seiner ehemaligen Schüler konnte er nicht wiedererkennen.
Und das sehr zum Spaß derer, die ihn verzweifelt nachdenken und raten hatten sehen!
Wer so ein Allerweltsgesicht wie Herr Schobermann hat, dem passiert es, dass er an der Straßenkreuzung angehalten wird, dass ein wildfremder Mann auf ihn zu kommt und respektlos ruft:
„Du, Landsmann! Dich kenne ich doch! Du bist doch der Herr Meschede von Fahrrad-Timm!“