Wer einmal wie Schobermann an der italienischen Riviera Urlaub verbrachte,
liebt die schroffe Küste mit den jahrhundertealten Küstendörfern, die bekannt sind für ihre bunten Häuser, die sich terrassenförmig an die Steilhänge schmiegen.
Die gleichfalls terrassenförmig angelegten Weinberge und die im Hafen ankernden Fischerboote runden das malerische Bild ab.
Die Trattorien servieren Meeresfrüchtespezialitäten und Pesto, die berühmte Sauce der Region Ligurien. Der Wanderweg Sentiero Azzurro verbindet die Dörfer und bietet dabei Panoramaausblicke über das Meer.
Schobermann wäre am liebsten dort geblieben und hätte sich da angesiedelt.
Jetzt ist er zu alt dafür.
Abends, wenn nicht nur bei Capri die Sonne untergeht, saß er mit einigen Italienern bei einem guten Glas Sciacchetra in Corniglio und hörte, worüber sich die alten Männer erzählten.
Einer lebte früher als Gastarbeiter in Deutschland, also war die Verständigung
keine Schwierigkeit.
Schobermann erfuhr, dass die Menschen überall auf der Welt die gleichen Probleme und Nöte auszustehen haben, aber auch Menschlichkeit und Dreistigkeiten zeigen.
Das, was er da hörte, hatte er alles schon in ähnlicher Weise in Deutschland erlebt!
Sie erzählten mit viel Empathie und Gestik besonders von einer Episode und legten immer wieder – wohl wegen des Spannungseffekts – eine Pause ein.
Sicherlich kannten alle Anwesenden diese Story, doch offenbar wollten sie Herrn Schobermann damit unterhalten.
Guiseppe, der mit seiner Frau, seinen beiden Töchtern und seinem Sohn eine Trattoria betrieb.
Bekannt wurde er aber für seine Pesto und seine unnachahmliche Fischsuppe, die zuppa di pesce, die von der Art der Bouillabaise erheblich abweicht und von Einheimischen wie Touristen an der italienischen Riviera sehr geschätzt wird.
Der Fischer Marco belieferte ihn mit dem speziellen Raja, einer Rochenart.
Einmal brachte er einen besonders großen Rochen zu Guiseppe.
Begeistert über den Fang wollte Guiseppe einen Preis aushandeln, aber Marco wehrte diesmal ab, legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach:
„Weil wir so gute Freunde sind, bekommst du den Fisch diesmal umsonst.Lade mich doch zu deiner köstlichen Suppe ein!“
Guiseppe machte sich ans Werk.
Bei einem trockenen Pigato, einer Mutation der Vermentino-Rebe, genossen sie beide diese herrliche Suppe.
Marco erzählte später seinem Freund Salvatore von der Gastfreundschaft Guiseppes.
Am nächsten Tag kam Salvatore in die Trattoria.
„Du machst eine so herrliche Fischsuppe? Lass mich kosten! Ich bin der Freund Marcos. Seine Freunde sind auch deine Freunde.Ich habe sogar meine Frau mitgebracht!“
Der Gastwirt lud ihn und Salvatores Frau zum Essen ein.
„Weil ihr die Freunde meines Freundes seid, seid ihr herzlich eingeladen.“
Das sprach sich in Windeseile im Dorf herum.
Am nächsten Tag kam eine ganze Gesellschaft von Leuten aus den benachbarten Orten.
„Buon giorno; Guiseppe! Wir alle sind die Freunde des Freundes
des Freundes deines Freundes Marco.Deine Küche ist berühmt und deine Gastfreundschaft beispiellos!
Lass uns deine Fischsuppe probieren.Nicht wahr, du spendierst uns allen ein köstliches Mahl! Deine Suppe besteht doch sowieso nur aus Resten und Abfällen!“
Guiseppe nickte und hieß seine Söhne eine große Schüssel mit Abwaschwasser füllen und diese servieren.
Die Leute waren außer sich!
„ Diabolo!Was erlaubst du dir, du Kanaille!“
„Ich erlaube mir, was ihr euch erlaubt! Kommt einfach hierher und wollt umsonst bedient werden, ohne etwas dafür getan zu haben!
Und beleidigt mich außerdem!
Das nenne ich eine Unverfrorenheit! Habt ihr mir je eine Leistung erbracht, die euch zu dieser Unverschämtheit berechtigt?“
„Bravo! Bravissimo!“war Schobermanns Reaktion nach zehn Sekunden Schweigens, „ich kenne Nassauerei auch von Deutschland.
Auf diese schöne Geschichte, die ein Gleichnis sein könnte, spendiere ich eine Tischrunde!
Aber ihr sollt wissen:
So schön es hier bei euch ist: Zu Hause ist es immer am schönsten!“
Darauf war es an der Tischrunde, nicht mit Beifall zu geizen.