Besonders die Engländer nördlich von Haughton Greens und York und die Schotten haben es mit den Mythen und Sagen. Natürlich kennt man in Deutschland durch die Heiligen-Legenden des gemeinsamen christlichen Ursprunges und der germanischen Mythologie gleiche und ähnliche Legenden und „Wunder“, aber auf der britischen Insel ist das alles noch viel ausgeprägter und auch durch Werbeträger vermarktet.
Die Drachenlegende wird im Abendland seit dem 13. Jahrhundert verbreitet. Seit dem 14. Jahrhundert zählt Georg zu den „14 Nothelfern“ – er wird zum Schutzpatron. Seit 1222 ist er Englands Schutzpatron – das Georgskreuz ist heute noch Teil der britischen Flagge. Er ist auch der Schutzpatron der St. Georgs-Pfadfinder, die auch ihren Namen von ihm haben.
Einige Könige von England trugen seinen Namen als Vornamen.
Schobermann sollte auf seiner letzten England-Reise anlässlich der zwei verschiedenen Gottesdienste für die Feuerbestattung der gestorbenen Ehefrau seines langjährigen Freundes damit zu tun bekommen.
Beide Kirchen lagen etwa 30-35 km voneinander entfernt.
Erwähnenswert ist, dass der Sarg nach anglikanischem Brauch zum Ende des zweiten Gottesdienstes in der Kirche des Krematoriums hinter einen Vorhang geschoben wurde, der hinter dem Altarkreuz an der Decke befestigt ist. Dahinter ist eine feuerfeste Wand und weiter dahinter eine schwere Eisentür, durch die man von den Sitzreihen nicht die Ofentür erkennen kann, weil sich der Vorhang und die Wände durch eine vollautomatische Mechanik sofort hintereinander schließen. Es ertönt ein lauter Knall, und die Einäscherung geht vor sich.
Diese Art Abschluss mit der verblichenen Person ist für die Gläubigen Trost und Erlösung, gleichzeitig auch die Freude und Erfüllung im Glauben, dass der dahingeschiedenen Person ein paradiesisches neues Leben bevorsteht. Wenn der Reverend zum gemeinsamen Sprechen oder Singen aufruft, haben alle Gäste aufzustehen. Das erschien Herrn Schobermann insofern lästig, weil die Abstände zwischen Aufstehen und dem Sich-hinsetzen sehr, sehr kurz waren.
Es erinnerte ihn an das Kinder-Laurentia-Lied-Spiel, dem bei jedem Wochentagsnamen und bei jedem Nennen des Namens „Laurentia“ aufgestanden werden muss.
Nach dem „Bestattungsgottesdienst“ fuhr man im Auto-Konvoi zu einem weit entfernten Ort in den Norden, wo alle Gäste zum Dinner geladen wurden.
Schaobermann rieb sich verwundert die Augen:
Sie kamen auf ihrer Fahrt zum Essen durch viele Orte, in deren die Pubs alle „Georg und der Drache“ hießen, wenn man dem Riesen-Schild mit dem Heiligen Georg Glauben schenken durfte. Der Drache war meist vom Ritter Georg durchbohrt.
„Es kann doch nicht sein, dass alle Gasthäuser so heißen!“ dachte er bei sich.
Es konnte nicht nur so sein, es war so.
„Warum in aller Welt…`“ fragte er die Leute.
„Wir verehren am allermeisten Georg als Schutzpatron. Er bringt allen Glück und Wohlstand!“
„Aber wieso ausgerechnet d e n?“ bohrte Schobermann weiter.
„Er ist der eigentliche Märtyrer, Messias und Erlöser unserer Kirche“, war die Antwort. „Viele glauben, sie hätten ihn noch heute durch die Lande reiten sehen! Er bringt den Menschen Glück! Das Georgskreuz, das er im Schild und auf seiner Rüstung trug, ist unser Wappen-Kreuz.“
Um das zu verstehen, müsste man die Geschichte der Spaltung der christlichen Kirche zur Zeit Heinrich VIII. nachlesen.
Schobermann ließ es sich im Pub schmecken. Es gab Stout-Bier dazu. Beim Prosten hatte er Mühe, den schweren Humpen von der Tischplatte weg zu bekommen. Das Glas klebte, die Finger klebten.
Hier, und nur hier soll sich im 18. Jahrhundert folgende Geschichte zugetragen haben:
Ein Reiter kam im Galopp bei einem furchtbaren Unwetter völlig durchnässt an ein einsames Gasthaus mit dem Namen „Georg und der Drache“.
Es soll dieses Gasthaus gewesen sein, in dem gerade das Essen der Trauergemeinde stattfand. Er pochte laut an das Tor. Nach einiger Zeit öffnet sich eine Klappe in der Tür: „Was will er?“ rief eine Frauenstimme. Blitze erhellten das Gesicht der ältlichen Frau mit ihrem wirren Haar.
„Um des Heiligen Georgs Willen ein Obdach, nur für diese Nacht! Mein Pferd und ich sind müde und nass!“
„Wir haben nichts frei! Mache er, dass er fortkommt!“
„Wenigstens einen Tee und ein Stück Brot und einen Unterstand für mich und mein Pferd!“
Bruch! Peng! Die Klappe in der schweren eichenen Tür schlug zu.
Wieder hämmerte der Fremde an die Tür.
Die Klappe öffnete sich.
„Hat er nicht gehört? Er soll verschwinden. Oder soll ich die Hunde auf ihn hetzen?“
„Ich möchte bitte Georg sprechen!“
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