Dies ist ein Erlebnis aus den Sechziger-Jahren in meiner Studentenzeit.
Ein nettes älteres Ehepaar, das ein sehr begrenztes Budget hatte, bediente ich während meiner Studienzeit als Aushilfskellner. Sie waren Stammgäste und hatten immer das Gleiche: Tee mit Zitrone für die Frau und Eiswasser für den Mann, ein gemeinsames Hauptgericht und ein gemeinsames Dessert.
Sie kamen einmal in der Woche, und ihre Rechnung lag immer um die 15 DM. Sie benutzten Gutscheine, wenn sie konnten. Sie gaben 5o Cent Trinkgeld, jedes Mal. Sie waren so nett, haben sich nie beschwert; jeder Stammgast genoss ihre Gesellschaft. Eine Zeit lang kamen sie nicht mehr, und dann kam der Mann allein. Seine Frau war gestorben. Er wollte raus und das Leben so gut wie möglich ohne sie genießen, er vermisste sie so sehr. Einige der Dinge zu tun, die sie früher zusammen gemacht hatten, gaben ihm Trost. Er erzählte mir, dass eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen darin bestand, im Restaurant zu essen und dann zum Wunschbrunnen mit einem plätschernden kleinen Wasserfall über dem Becken, zu gehen, der direkt an der Tür im Vorraum meines Lokals stand, etwas Kleingeld einzuwerfen und sich etwas zu wünschen. Der Wunschbrunnen war auch eine Spendensammelstelle für „Ein Herz für Kinder“, so dass die Gäste das Gefühl hatten, das Geld für einen guten Zweck zu spenden. Als er mit dem Essen fertig war, gab er mir, wie immer, eine 50-Pfennig-Münze, und sagte, dass er diese Münze am meisten liebe, weil auf ihr eine Frau zu sehen war, die ein Bäumchen pflanzt, als Symbol des ewigen Lebens. Außerdem erinnere ihn das Bild auf der Münze an seine Frau, die eine Hobbygärtnerin mit Leidenschaft war. Ich reichte ihm mein Trinkgeld zurück und bat ihn, sich im Gedenken an seine Frau etwas zu wünschen, von mir. Ich sagte ihm, dass ich das Gleiche damit machen würde, wenn er mir wieder das nächste Mal 50 Pfennig gäbe. Er nahm meine Hände und dankte mir mit Tränen in den Augen. Wir nahmen uns vor, dies jedes Mal immer wieder aufs Neue zu tun, bis er kurz später starb.
Diese Geschichte ist mir wieder eingefallen, aus der Erinnerung, als ich heute mit meiner Frau in ein Lokal mit FFP-2-Maske und Impftest-Nachweis in einer Gastwirtschaft in der jetzt unruhigen Corona- und Ukraine-Kriegszeit essen ging.