Den Senf dazugeben

Es sind sehr kleine Kügelchen mit großer Wirkung.

Eigentlich sind sie sehr winzige komische Dinger, die Herrn Schobermann schon in seinem Kindes- und Jugendalter faszinierten, weil sie überall hin rollten und in jeder Ritze verschwanden. Sie mogelten sich in seine Kleidung und rollten in die hintersten Ecken.

Die Rede ist von den unmöglichen Senfkörnern mit ihrer lästigen Eigenschaft, sich im gesamten Raum zu verteilen. Schobermann fand die anhänglichen Kügelchen am Abend überall in der Kleidung und sogar einige davon in seinem Bett.

Schon als Kind hat er sich zuhause immer darum gerissen, die Salatsauce anrühren zu dürfen, weil etwas Senf hineingehörte und er heimlich davon naschen konnte.

Damals wie heute hat er die gelblich-braune Masse löffelweise gegessen.

Vielleicht lag es an der Notzeit im II. Weltkrieg und den Hunger-Jahren danach in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands. Für alles, was irgendwie essbar war, interessierte er sich. Er naschte Wäschestärke aus dem Badezimmer, Zucker aus einem Versteck in der Speisekammer, wofür er Prügel bekam, klaute mit seinen Kameraden Süßholzwurzeln aus der „Teebude“, dem Pharmazeutischen Werk Halle an der Saale, „organisierte“ angebrannten, schmutzigen, schwarz gefärbten Zucker aus der zerbombten Zuckerraffinerie in Halle und warf Briketts von einem Eisenbahn-Güterwaggon hinunter. Kein Apfelbaum war vor ihm sicher. Aber von jedem nahm er nur einen Apfel mit.

So überlebten die Schobermanns, denn die zugeteilten Lebensmittel-Marken waren zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, reichten also von vorn bis hinten nie aus.

Das Einkochen bedeutete immer ein Erlebnis für den kleinen Schobermann.

Noch heute weiß er, wie die Mutter mit dem „Einkochapparat“, einem Riesen-Kochtopf mit Einsätzen die Senf-, Salz- und Gewürzgurken „einmachte“. Einmachgläser mit Gummiringen waren dazu erforderlich. Außerdem verwendete sie zum Würzen alle möglichen Küchenkräuter.

Senf gab es nicht zu kaufen, also machte Schobermanns Mutter ihn selbst. mit Senfkörnern, Wasser, Essig, Salz, Zucker, und was sie an passenden Kräutern dazu hatte.

Die gelbe Saat gab die Würze, die braunen und schwarzen Körner sorgten für die nötige Schärfe, die Gaumen und Rachen streifte, schnell in die Nase stieg, ein herzhaftes Prickeln auslöste und plötzlich verebbte – so etwas kannte Herr Schobermann nur vom Meerrettich.

Imbissbuden, Bahnhofsverkaufsstände für Würstchen und das Geklecker von Senf, das Einatmen von allen möglichen Gerüchen sorgten bisher für ein tristes Image der „gelben Schmierpaste“.

Und auch heute noch ruft der säuerliche, von billigem Tafelessig dominierte stechende Senfgeruch Erinnerungen unschöner Bilder hervor: graue Wurstpappe in der Hand, hastiges Herunterschlingen von fetttriefender Bratwurst und gelb verschmierte Mundwinkel der dicht gedrängten Mitesser im Fußball-Stadion oder am Stand taten ihr Übriges.

 

Der Senf hat endlich einmal verdient, propagiert Herr Schobermann, dass er wegen seiner viel anwendbaren guten Eigenschaften geadelt werde, nicht nur, weil er das älteste Gewürz der Welt ist. Den Senf salonfähig zu machen, wäre ein Gebot der Gastronomen und Köche!

Redewendungen geben dem Senf, der je nach Region Mostrich oder auch Mostard genannt wird, eine besondere Bedeutung und Beachtung.

Schobermann fasst sich an seine eigene Nase, wenn es heißt, da wolle jemand als notorischer Besserwisser seinen Senf dazugeben oder einen langen Senf machen, was im redensartlichen übertragenen Sinn bedeuten soll, nicht unnötig viele Worte um eine Sache machen.

Auch „Quatsch mit Senfsoße!“ hat Schobermann verschiedentlich für ein Nonsens gehört, um eine dritte Redensart über Senf hinzuzufügen.

Ein Freudenfest ist es für Herrn Schobermann jedes Mal heute noch immer wieder, wenn ein Gewürz-, Senf- oder Salzgurkenglas geleert wird und er sich über den Sud mit den vielen kleinen Senfkörnern und dem Kraut hermachen kann. Das hat er sich seit seiner Kindheit wie auch den „Schlabbertee“ aus ausgespülten Marmeladengläsern als Angewohnheit erhalten.

Schön, dass die Natur den Menschen so ein herrliches Gewächs beschert hat, das den lateinischen Namen Sinapis alba trägt und im Anbaugebiet südöstlich vom Spreewald (wegen der Gurken) auf Feldern zu sehen ist. Die Ölmühle in Burg ist allein eine Reise dorthin wert, vom traditionellen Spreewaldmarkt mit Trachten, Volksmusik und Handwerkskünsten und dem romantischen Wasserlabyrinth mit Myriaden blauer Libellen und Kleinfalter ganz zu schweigen.

 

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