Moral ist wie die Mode einer Gesellschaft wandelbar.
Das musste ich, Student der Philologie 1962, im sechsten Semester erfahren. Lüneburg war damals wie heute ein traulich-gemütliches Städtchen, damals noch verträumt mit 60.000 Einwohnern und schon mit Fußgängerzonen ausgestattet. Es gab kleine einladende Lädchen mit Glocke an der Tür, Milchbars und bei der damals aufkommenden Hähnchen-Grill-Welle Verkaufsstände, eine kleine Privatbrauerei, ein Milchautomat in der Uni. Im nahegelegenen Kurpark mit der Saline und dem Gradierwerk konnte man relaxen, und es gab kostenlos Salzsäckchen zu Werbezwecken und einen Pranger aus Eisen aus dem Mittelalter auf dem Rathausmarkt, direkt vor dem Amtsgericht. Warmes Mittagessen im Eisenwerk konnten mittellose Studenten bekommen. Eine Bratwurst am Stand oder Schnellimbiss kostete eine D-Mark, ein halbes Hähnchen 1,95 D-Mark, ein Sahne-Joghurt in der Milchbar 50 Pfennige, ein halber Liter Bier im Lokal ebenfalls so viel. Bewundert wurde damals im tristen Straßenverkehr die „Isabella“, ein Pkw mit Holz-Armatur aus den Bremer Borgward-Werken von der man einige Exemplare sehen konnte. Weiterlesen →