Das Blind Date mit einer Frau in einem Foyer einer Kleinkunst-Bühne in Norderstedt bestätigte Herrn Schobermann wieder einmal den Frauentyp „Vamp“.
Auf 12 Anzeigen im Hamburger Abendblatt hatte er reagiert, in der Hoffnung, 1990 wieder eine Frau fürs Leben zu finden.
Nachdem sein Sohn und dessen Freundin in einer Nacht- und Nebelaktion ihn aus Bad Gandersheim aus dem Lebenskreis einer Amazone herausgepaukt hatten, versuchte er es mit dem Auswählen von Partnerschaftsanzeigen.
Die Dame Numero 12 war sein letzter Versuch, dem Alleinsein ein Ende zu bereiten.
Man verabredete sich in einem Kabarett-Theater im Norden Hamburgs.
Mit einer Zeitung unter dem Arm, wie verabredet, setzte sich Herr Schobermann nach dem ersten Teil der Vorstellung an die Bar. Er dachte, s i e hätte die Verabredung nicht eingehalten.
Mondän aufgetakelt, mit einem Riesen-Dekolletee hinten und einem gewagten vorn, einer langen baumelnden Perlenkette, den Bubikopf geschmückt wie in den Zwanziger-Jahren des 20. Jahrhunderts, mit Stirnreif und Feder. So traf er sie, aber auf ungewöhnliche Art.
Perfekt: die Femme Fatale, sehr auffällig geschminkt, ein Plissee-Kleid mit Fransen über dem Knie, so offenbarte sich die Dame erst in der Theater-Pause.
Die lange Zigarettenspitze, aktiv eingesetzt, durfte nicht fehlen. So saß sie bei zwei Gläsern Sekt auf dem Barhocker, Herrn Schobermann ein Glas reichend.
„Ich habe Sie beobachtet und wollte mal sehen, wie Sie reagieren, wenn ich mich nicht sofort zu erkennen gebe. Außerdem wollte ich Sie mir erst ansehen.“
Der überraschte Herr Schobermann wusste nicht, ob er das Verhalten als „Test“ der Frau missbilligen oder als Kompliment ansehen sollte, da er ja „auserwählt“ worden war.
Noch überraschter war er, w i e sie ihn weiter ansprach.
Sie stellte sich nicht etwa namentlich vor und erwartete das Gleiche auch von ihm nicht,
sondern begann mit:
„Lieben Sie Ihren Körper?
Streicheln Sie ihn gelegentlich?“
Herr Schobermann war perplex: „Moment mal! Müssen wir gleich mit der Tür ins Haus fallen und das hier besprechen? Ich weiß ja noch gar nicht, mit wem ich es zu tun habe!“
Unbeirrt fragte sie weiter: „Wirke ich auf Sie erotisierend? Übt der Mond auf Sie eine gewisse Anziehungskraft aus? Haben Sie heute Nacht den Vollmond betrachtet?“
„Heute Nacht, sagen Sie? Da habe ich geschlafen! Ich übe nämlich noch einen anstrengenden Beruf aus!“
„Ich sehe schon, Sie sind nicht der charismatische, romantische Typ, mit dem ich mich treffen wollte!
Aber ich gebe Ihnen noch eine Chance. Kommen Sie doch zu unserer Bade-Sitzung am Sonnabend.
Wir sind zu mehreren Personen. Gemischt, versteht sich. Bringen Sie leichte Kleidung mit. Es dürfen auch ein Hawaii-Hemd und ein Tanga darunter sein. Hier ist die Karte unseres privaten Clubs.“
Sie schlug ihre schaukelnde Perlenkette nach hinten, wippte graziös vom Barhocker, gab dem verdutzten Schobermann einen Kuss auf die Wange, drückte ihm eine Karte in die Hand und verschwand im Gewühl der Menge im Vestibül des Kabarett-Theaters. Er konnte nur ganz kurz noch ihrem hinteren Dekolletee nachschauen.
Unwillkürlich dachte Herr Schobermann an die Femme Fatale in der Mythologie und Kunst.
Die Verführerin benutzt Männer für ihre Zwecke, manipuliert den Willen des Mannes und seine Handlungen, untergräbt seine Moral und stürzt die Männer auf fatale Weise ins Unglück.
So einen Typ Frau hatte er seinem Gefühl nach gerade getroffen.
Verführerinnen finden sich bereits in der Bibel: Salome verführt ihren Stiefvater König Herodias durch einen Tanz und bekommt als Belohnung den Kopf von Johannes, dem Täufer, auf einem Silbertablett serviert. In der klassischen Antike sind die Sirenen das beste Beispiel für arglose Verführerinnen: Sie locken die vorbeifahrenden Seefahrer mit ihrem lieblichen Gesang an, um sie zu töten.
Lilith ist die klassische Verführerin. Von ihr wurde der Hexenglaube abgeleitet.
In der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts wurde die jugendlich-unschuldige Kindfrau in Frank Wedekinds „Lulu“ oft als Form einer Femme Fatale betrachtet. Dieser Frauentypus tauchte ähnlich in Vladimir Nabokovs Roman „Lolita“ auf. Hierbei verschwimmen jedoch die Grenzen zwischen der fragilen, minderjährig-unschuldigen Jugendlichen zur kühl berechnenden Verführerin.
Bis heute noch wird nach Schobermanns Auffassung das prägende Bild der Femme Fatale durch die Filmklassiker des Film Noir bestimmt: Marlene Dietrich gilt als Varietésängerin Lola im Dreißiger- Jahre-Film „Der blaue Engel“ als Inbegriff dieser erotischen Verführerin, der alle Männer hoffnungslos erlegen sind. Sie vereinte Stil, Eleganz, Laszivität und Schönheit wie keine Zweite. Auch Marilyn Monroe wurde in ihrer Rolle der ruchlosen Ehefrau in „Niagara“ zur Femme Fatale des Films und schaffte mit dieser Charakterrolle den Durchbruch. In den 50er-Jahren wurden Brigitte Bardot und Marina Vlady als Verführerinnen in Filmen dargestellt, ebenso wie die deutsche Schauspielerin, Sängerin und Kabarettistin Maria Sebaldt in den Sechzigern. Eleonore Weisgerber schaffte sich dieses Ansehen „der Frau ohne Moral“ in den Filmen der Siebziger und Achtziger.
In einer ganzen Reihe großer Hollywoodfilme spielten Typen der Femme Fatale Rollen, die auf Herrn Schobermann zeitgleich faszinierend und abstoßend wirkten. Hier dominierte eine Mischung aus gefährlicher Eleganz und manipulativer, eiskalter Erotik, erinnert sich Herr Schobermann. Typische Beispiele dafür sind für ihn Sharon Stone als nymphomanische Killerin in „Basic Instinct“, Demi Moore als intrigante Geschäftsfrau in „Enthüllung“ oder auch Sarah Michelle Gellar als intrigantes, verwöhntes Biest in „Eiskalte Engel“.
Diese Art der Vamp-Typen übten eine derartige Faszination auf Männer aus, da sie alle moralischen Kategorien über Bord warfen und ihren eigenen Weg gingen. Sie wissen, was Männer wirklich wollen, und setzten ihre Reize ein, um sie erst zu verführen und dann in die Falle zu locken. In Sachen Verführungskunst kann man sich diese Frauen zum Vorbild nehmen. Allerdings führen alle letztlich ein sehr einsames Leben und verletzen die Menschen in ihrer Umgebung. Ihr Handeln wäre zu keiner Zeit für eine ideale auszurichtende Lebensweise gut gewesen.
Der Vamp „bringt die Männer als Femme Fatale um den Verstand“, heißt es in einer Titelgeschichte einer Illustrierten. „Der Vamp-Typ sucht sich die „richtigen Männer“ aus und „zeigt den Kerlen , wo es lang geht““, enthüllt die Zeitung weiter.
Der Vamp ist eben wie eine Königin, sie ist eine Königin, jedenfalls so, wie Herr Schobermann sich eine Königin vorstellt.
Als Femme Fatale besitzt sie den Mut, um jeden Preis aufzufallen. Sie versteckt sich nicht, sondern ist der Stargast auf jeder Party. Wenn sie den Raum betritt, richten sich alle Augen fasziniert auf sie. Das heißt aber auch, dass ihr vonseiten der anderen Frauen viel Neid entgegen gebracht wird. Damit kann sie umgehen. Dabei könnten aus Freunden plötzlich Feinde werden. Der Preis für die Bewunderung kann am Ende auch Einsamkeit sein, weiß sie.
Herr Schobermann fragt sich:
„Wie oder wo lernt eine Frau derartiges Verhalten? Weshalb gibt es dann immer noch die „grauen Mäuse“, die überhaupt nicht auffallen und als „Mauerblümchen“ von der Literatur und der Gesellschaft hingestellt werden.?“
Ein moderner Vamp ist eher skrupellos und eiskalt statt verständnisvoll. Eine Frau dieser Art nimmt sich, was sie will, „ohne Rücksicht auf Verluste.“ Wenn ein Mann eher an einer längerfristigen Beziehung interessiert ist, sollte er die Finger von diesem Typ Frau lassen. Wer aber ungebunden ist und eher auf ein erotisches Abenteuer aus ist, wird als Mann Erfolg haben. Er müsste nur mit den Konsequenzen leben können. Das gilt natürlich auch für die Frau. Verlieben darf sie sich nicht.
Eine Femme Fatale hat Stil und besitzt eine gewisse Eleganz. Charisma und Ausstrahlung kann man nicht wirklich lernen. Die hat man oder hat man nicht. Mit ihrem Styling und Make-up wird sie in jedem Fall ihre Erotik unterstreichen und damit noch mehr Geheimnisvolles ausstrahlen. Sie wählt immer elegante Dessous mit Spitze, doch zeigt sie nicht zu offensichtlich ihre weiblichen Reize. Weniger ist oft mehr, weiß sie. Sie kombiniert häufig einen Hosenanzug à la Marlene Dietrich mit einer weißen Bluse oder trägt unter dem schwarzen Jackett einfach mal nichts. Sie betont vor allem ihre Lippen und schminkt die verführerischen Smokey-Eyes. Zu aufgesetzt ist die Schminke bei ihr nie, sondern ist wirkungsvoll und passt zu ihr.
Sie lässt nicht sofort durchblicken, wenn sie einen Mann begehrt. Sie versteht es, sich immer interessanter zu machen, indem sie sich mysteriös gibt und auch nicht gleich zeigt, wer sie ist und ob sie vergeben ist oder nicht. Sie lässt den Männern Raum, ihre Vorstellungen über sie zu entwickeln. So bleibt sie immer geheimnisvoll, so dass die Männer zu ihr sagen: „Du bist wie eine Rose, unergründlich.“
Am wohlsten fühlt sie sich, wenn die Männer bei ihr um ein Date betteln. Dazu gehört auch, dass sie ihnen nicht sofort das gibt, was sie wollen, sondern mit ihnen spielt. Sie lässt die Männer häppchenweise kosten, was es bedeutet, ihr zu verfallen. Sie zeigt sich interessiert, bleibt aber zunächst distanziert. Sie legt dem Mann im richtigen Moment die Hand auf das Knie, doch küssen wird sie ihn nicht gleich beim ersten Date.
Sie hält sich für unwiderstehlich .
Als gute Verführerin weiß sie genau, wie sie die Dinge bekommt, die sie will. Doch sie hält sich zunächst alle Optionen offen und genießt es, wenn ihr möglichst viele Männer zu Füßen liegen. Sie scheut sich manches Mal sogar nicht, den neuen Typ ihrer Freundin attraktiv zu finden. Das ist natürlich nicht okay, den Freund auszuspannen. Sonst aber stehen Single-Männer „auf ihrer Speisekarte“, denn dann verletzt sie am Ende niemanden.
Alles das hat Herr Schobermann in Erfahrung gebracht und legt nun diesen Typ Frau „in eine der sicheren Schubladen seines Lebens“.