„Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Evangelium Lukas 18, 9-14)
Dieser Ausspruch aus der Bibel tröstet Herrn Schobermann jedes Mal, wenn er von Marlies, einer
rüstigen allein lebenden Seniorin beim Schwimmen im „Midsommerland“-Schwimmbad bekritelt wird.
Marlies, wegen ihres niederdeutschen Dialektes auch „M o a r l i e s“ gerufen, fährt mit haaten Kaaten zum Aaazt in den Haaz, hat die Steerne von Heerzen geerne , fasst sich nicht gern an die eigene Noase und findet den Spoat in Oatnung.
Ihren Dialekt findet Herr Sch0bermann liebenswert
Schon als Kind wunderte sich Herr Schobermann über den unlogischen, aber originellen Begrüßungsruf vom Kasper, wenn der „Kasper-Mann“ mit seiner kleinen Wanderbühne in die Schule gekommen war und uns Nachkriegskinder mit seinen spaßigen erfolgreichen Einsätzen gegen den Teufel, den Räuber und das Krokodil begeisterte:
„Kinder, seid ihr alle da?“
Und Herr Schobermann, der das alles miterlebte,sagte sich folgerichtig, es könnten ja nur die gerade anwesenden Kinder gemeint sein und nicht nicht anwesende, stimmte aber im Chor der Kinder mit ein:
„Ja, Kasper, ja!“
Das Ritual mit Marlies wiederholte sich ähnlich wie beim Kasper.
„Ja Moarlies, ja bist denn du da?“ rief Herr Schobermann jeden Donnerstagmorgen laut übers Schwimmbecken, in welchem Marlies beharrlich ausdauernd bereits eine Stunde geschwommen war. Das „denn“ hatte er bewusst vor das „du“ gesetzt.
Marlies drehte sich jedes Mal im Schwimmbecken scheu nach allen Seiten um, weil sie zwar den Spaß mitmachte,aber man sah ihr an, dass sie von einer gewissen Peinlichkeit berührt war.
Mit „Ja, hab‘ ich dich denn wieder?“ schwamm Herr Schobermann auf sie zu, breitete seine Arme aus und drückte Marlies herzlich, dass sie ihre knallgelbe Badekappe festhalten musste, damit diese nicht verrutschte.
Nachdem sich Marlies einigermaßen wieder gefangen hatte und durch die interessierten Blicke und das Lächeln der übrigen Schwimmer sich deren Wohlwollen gewiss war, entspann sich folgender Dialog:
„Helmut, wieso kommst du jetzt erst? Ich schwimme schon seit einer Stunde!“
„Marlies, du weißt doch, dass ich frühmorgens immer viel zu tun habe!“
„Ja, aber das kannst du doch am Abend vorher erledigen!“
„Dazu bin ich nicht in der Lage, Marlies!“
„Wieso denn nicht, das verstehe ich nicht!“
„ Ich bereite den Frühstückstisch für zwei Personen vor und koche Eier und Kaffee.Nach dem Frühstück lese ich die Zeitung und wasche ab. Danach schreibe ich am PC ein paar Bewertungen.
Ich kontrolliere, ob ich alles eingepackt habe: Badekarte, Badehose, Bademantel, Badefrühstück, Badetücher, Badesandalen, Bade-Getränk.
Danach messe ich gewissenhaft den Reifendruck meines Wagens, überprüfe die Benzinuhr,
schaue nach, ob kein Öl oder Benzin ausgelaufen ist, und kontrolliere gewissenhaft die Bremsen vor Fahrtantritt, wie ich es in der Fahrschule gelernt habe.
Danach kaufe ich im Supermarkt auf Geheiß Suppenknochen ein.“
„Aber so etwas macht man doch am Abend vorher! Die Knochen könnten doch auftauen! Außerdem ist das Essen von zu vielen Eiern schädlich!“
„Am Abend vorher komme ich nicht zu allen diesen Tätigkeiten, weil ein Besuch, Emails oder ein langes Telefonat mich davon abhalten. Die Knochen sind nicht eingefroren. Und ein Frühstück ohne Ei ist für mich kein Frühstück!“
„Du kannst doch n a c h der Sauna deine Knochen einkaufen gehen und deine Telefonate auf das Wochenende verschieben!“ Sie sagte wirklich „deine Knochen“.
„Ach, Marlies, die Telefonate habe ich schon frühmorgens, und am Abend sind die Suppenknochen restlos ausverkauft! Meine Frau wäre ganz traurig, wenn ich ohne Suppenknochen nach Hause käme!“
„Die Suppenknochen kannst du doch am Tag vorher kaufen!“
„Dafür müsste ich extra Benzin verfahren, weil ich die Suppenknochen aus Meckelfeld hole.“
„Aber du kannst doch die Suppenknochen auch in deinem Wohnort kriegen!“
„Da werde ich an der Fleischtheke nicht so zuvorkommend und freundlich bedient wie in Meckelfeld! Und die haben abends nicht immer Suppenknochen vorrätig! In meinem Wohnort ist es Glücksache, im Supermarkt überhaupt Suppenknochen zu finden! Es hat auch etwas mit dem Preis und der Qualität zu tun.“
„Helmut, du bist und bleibst eben ein hoffnungsloser Fall. Wie kann Jemand um halb sechs Uhr aufstehen und erst um 10 Uhr in die Sauna kommen! Ich begreife nicht, wie Jemand wie du nicht die Kurve kriegemn kannst!“
„Ja, Marlies, das verstehe ich auch nicht! Ich kriege einfach die Kurve nicht!“
Herr Schobermann fühlte sich nach diesem Dialog jedes Mal an den Volks-Schwank und das Schnurrenlied „Wenn der Topf aber nun ein Loch hat“ erinnert.
Jeden Donnerstag wiederholt sich dieses Zeremoniell im Midsommerland-Bad:
„Na, Helmut, hast mal wieder die Kurve nicht gekriegt? Hast du denn wieder Suppenknochen besorgen müssen?“
„Nein, Marlies, heute bin ich mal ohne Suppenknochen.“
„ Und trotzdem die Kurve nicht gekriegt! Das verstehe, wer will, ich jedenfalls nicht!
Helmut, du wirst nie die Kurve kriegen. Du bist und bleibst eben ein Looser! Du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall!“
„Ja, Marlies, ich bin ein hoffnungsloser Fall! Mit mir nimmt es noch mal ein schlimmes Ende!
Aber nicht wahr, jetzt legst du doch mal ’ne andere Platte auf!“
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So weit kann es kommen, wenn man nicht über seinen Tellerrand hinaus schauen kann
und bei anderen die eigenen Maßstäbe anlegen will.