Gemüsebrätling

Herrn Schobermanns Tischnachbar, dieser Filou, drehte heimlich das kleine metallene Tischgestell um, in dessen Schienen zu beiden Seiten die „Tischkarten“ von je einer Person eingeschoben waren. Für jeden Wochentag trug das Küchenpersonal das von den Gästen ausgewählte Hauptgericht in einem von drei Feldern als Kreuzchen ein, Feld Nr. 3 für vegetarische Gerichte.


So kam es, dass die Bedienung im Speisesaal der Reha-Klinik jedem der beiden Männer das jeweils falsche Essen brachte, Reinhard die lecker duftenden Prinzessböhnchen, dazu die Teltower Rübchen, die Kullerkartoffeln mit Sahnesoße, die das zarte Rindfleischstück in Handgröße umsäumten, Herrn Schobermann einen grünlich-rötlich schimmernden etwa vier Zentimeter im Durchmesser großen runden „Gemüsebrätling“, der sich auf dem großen Teller verlor. Dazu die süßsaure Kombination aus Blumenkohl und Paprikastreifen im quittengelben, nach Ingwer und Koriander duftenden Reisring.

Gerade, als Herr Schobermann sich beim Personal beschweren wollte, beichtete ihm sein Tischnachbar, er hätte sich beim Ankreuzen vertan.

Gewollter oder ungewollter Scherz? Herrn Schobermann trug’s mit Fassung.
Selbstverständlich sorgte Reinhard für Wiedergutmachung; der Bratling aber blieb auf dem Tisch. Man hatte ihn wohl vergessen.
Neugierig geworden, was die Küche den Vegetariern so bietet, schnupperten beide Männer abwechselnd an diesem bunten Lapperknödel, aus dem sich durch das Hin-und Herwenden
ein kleiner Möhrenstrang, dick wie ein Stückchen dünner Bindfaden, herausgelöst hatte.
Schobermanns Gegenüber fand das irgendwie lustig, weil er diesen Bremsklops mit zwei Rückenwirbeln verglich, deren Bandscheibe herausgeflutscht war.

„Muss der aber Schmerzen haben!“ ulkte Reinhard über die kleine Boulette mit dem herausgequollenen Möhrenstück, und bekam sich nicht wieder ein vor Lachen.
Er kostete ein winziges Stück, nahm es aber mit verzogenem Mund sofort wieder heraus und witzelte weiter:

„Wer bei uns in Hannover derartige Frikadellen herstellt oder nachmacht oder hergestellte oder nachgemachte in Umlauf bringt, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft!“
Und er prustete weiter:
„Dieser ominöse Gegenstand, allein schon durch das Wort „Brätling“ genug bestraft, hätte es auch nicht verdient, Boulette oder Frikadelle genannt zu werden.“

Herr Schobermann dachte erst, Reinhard würde übertreiben. Aber als er den Möhrenköddel probiert hatte, gab er dem Löffel den Bissen dezent zurück und sprach:
„Das Ding muss der liebe Gott im Zorn erfunden haben. Riecht wie Laternenpfahl ganz unten.
Aber etwas Gutes hat die Sache doch:
Die süßsauren Blumenkohlspitzen könnte man später trocknen, anmalen und zu Weihnachten dekorativ an den Baum hängen. Der indisch zubereiteten Koriander-Ingwer-Reis wäre ein Renner, wenn er als gepresste Knusperlinge auf dem Markt käme !“

Nach dem Essen fiel der Übungsleiterin beim Rückenschule-Entspannungstherapiekurs auf, dass die beiden Männer vor sich hin prusteten. Ein Bild mit Bandscheiben hatte sie aufgehängt.
Natürlich konnte sie nicht wissen, dass bei den Beiden zwischen ihrem Vortrag über ausgeleierte Bandscheiben und dem Möhren-Petersilien-Bratling eine Verbindung bestand:

„Aber meine Herren, Sie lassen den nötigen Ernst vermissen. Mehr Konzentration, wenn ich bitten darf! Sie sind schließlich nicht zu Ihrem Vergnügen hier!“

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