Um des Kaisers Bart

Wer sich häufig „um des Kaisers Bart“ kümmert oder streitet, wird landläufig als
ein nach Geltung Trachtender, auch als Pedant, Spießer und Wichtigtuer
bezeichnet, der „seine Nase da hinein hält, wo hinein man sie nicht halten soll“, oder, der sich um „ungelegte Eier kümmert“.

Herr Schobermann ist stets bemüht, bei seinen Kollegen und Bekannten nicht als solcher
angesehen zu werden, indem er Missstände und Missverständnisse großzügig auslegt, wie zum Beispiel „Dumm gelaufen!“ , und sie nicht wertet.

Zu Hause vom Einkauf angekommen, lud er unter anderem auch einen Adventskranz ab. Seine Frau betrachtete misstrauische dieses Objekt, als ob es sich um eine Handgranate handeln würde…

„Wir brauchen keinen Adventskranz. Wir nehmen wieder den alten mit künstlichen Nadeln“,
bestimmte Frau Schobermann.
„Außerdem kommt Weihnachten eine muslimische Familie zu zu uns zu Besuch. Da wirkt
Weihnachtsdekoration nur störend!“

Ihr Gatte erwartete insgeheim, dass sie in die Hände klatschen und ausrufen würde: „Oh, was für ein schöner Kranz! Wie aufmerksam von dir!“

„Nein! Der soll auch nicht für uns sein, auch nicht für unsere Kinder. Die haben bestimmt schon längst einen!
Der ist für eine liebe alte Frau, die damals die Biografie für meine Schwester als Manuskript ins Reine geschrieben hat, etwa 100 Seiten. Wochen- und monatelang schickte meine Schwester aus Freiburg noch Anhänge und Nachträge, Verbesserungen und neue Kapitel dazu!“

„Das ist zehn Jahre her. Daran erinnert sich die Frau bestimmt nicht mehr. Vielleicht ist sie schon gestorben. Vielleicht wohnt sie gar nicht mehr dort, wo du sie vor zehn Jahren besucht hast.“

„Meine Entscheidung, basta! Wir fahren dort auf dem Weg nach Stade vorbei!“

Logik – Einwand der Ehefrau:
„Dann müssten aber alle Leute einen Kranz bekommen, die dir mal einen Gefallen getan haben!“
Sie ereiferte sich weiter. „Außerdem wurde sie von dir bezahlt!“

„Ja, Himmel, Donnerwetter! Dreht sich denn alles nur ums Geld?
10 Cent hat sie pro geschriebene und nachkorrigierte Seite bekommen! Das Papier hat sie auch nicht berechnet! Hoffentlich liest das Finanzamt das jetzt nicht mit!“

„Aber es ist zehn Jahre her. Das weiß sie schon gar nicht mehr. Das hat sie vergessen!“

„Das Thema ist beendet!“ grollte Herr Schobermann. „Ich will nichts mehr hören! Das geht hier um des Kaisers Bart!“

Hatte sich die Sache auf seinen Magen geschlagen?
Jedenfalls hatte er später auf der Fahrt Bauchkneifen und war schon am Morgen mit Durchfall geplagt.

Kurzer Stopp in Harburg.- Die Frau erinnerte sich an die Manuskripte:

„Dass Sie das nicht vergessen haben! Aber das wäre doch nicht nötig gewesen! Wollen Sie nicht auf eine Tasse Kaffee bleiben?“

„Danke, nein. Meine Frau wartet im Auto. Wir wollen weiter und haben eine lange Pflichttour vor uns. Alle, die etwas für mich getan haben, bekommen dieses Jahr einen Adventskranz! Auf Wiedersehen! Wir wollen noch weiter!“

Mit einer Klo-Rolle unterm Arm kam Herr Schobermann zu seiner im Auto wartenden Frau zurück.

Ihr Mund stand weit offen: „Was soll d a s denn?“

„Ich wusste mir keinen Rat! Die gute Frau hatte volles Verständnis für meine Lage!“

„Wie peinlich! So was macht man nicht! Schon gar nicht bei einer Frau! Die Rolle bringst du zurück!“

„Toilettenpapier zurückbringen? Dann w i r d die Sache erst peinlich! Ich d e n k e nicht daran!“

Sie konnte sich nicht beruhigen. Ihr Gatte zog das Fazit:

„Wir streiten doch wirklich hier um des Kaisers Bart! Ob Klorolle oder Adventskranz, ist das nicht egal? Es ist Niemandem ein Schaden entstanden.“

Und, um sie durch ein neues Thema auf der Fahrt abzulenken und auf einen anderen Gedanken zu bringen:

„Weißt du, ich mache mir Sorgen um Nachbar Alfred.. Er klagt, er schaffe es nicht mehr, seine vier Frauen, die er auf Seniorentreffs kennen gelernt hat, zu bedienen, zu versorgen und zu unterhalten!
Fragt er mich doch: „Was soll ich nur machen? Es wächst mir alles über den Kopf!
Und die Blumen! Die werden auch immer teurer! Die haben mich schon ein Vermögen gekostet!“

Ja, er sagte sogar, er verwechsele schon die Namen seiner Angebeteten. Ich beschwichtigte ihn:

„Du schreibst ihre Namen in ein Büchlein , klebst ein Bild dazu und lernst sie auswendig.
Jede volle Stunde einmal. Immer wieder! Nachts muss das Heft unter dem Kopfkissen liegen. So haben wir früher Vokabeln gelernt!
Oder du redest alle mit Schatzi oder Mausi an, da kann dir keine Verwechslung mehr passieren!
Oder buche, wie du es bisher gemacht hast, mit jeder Frau eine andere Reise.
Wenn du weit weg bist vom Schuss, dann kann dir keine Andere in die Quere kommen!
Und die Flitterwochen hören nie auf!“

Frau Schobermann war entsetzt:

„Ich finde dich abscheulich! Der arme Alfred! Am Ende befolgt er noch deine perfiden Rat-
schläge!
Du bist auch nicht besser als die Anderen! Kümmerst dich um des Kaisers Bart, um Dinge, die dich überhaupt nichts angehen.“

Dabei wollte Herr Schobermann nur ablenken. Aber so ist es im Leben: Machst du aus einer Mücke einen Elefanten, indem du dich über Andere auch mal lustig machst, erfährst du gleich eine persönliche Retourkutsche!

„Ach wie unbeschwert waren die Zeiten, als wir noch das schwere Wort „Adventskranz“ Atzfentskranz geschrieben haben“, dachte Herr Schobermann.
„Oder stritten wir da auch schon als Kinder um des Kaisers Bart?
Nicht um die Klosettpapier-Rolle, sondern um Alfred mache ich mir Sorgen.“

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