Jede Jahreszeit hat ihre Besonderheit, wie auch ihre lukullische Spezialitäten.
Herr Schobermann weiß das und genießt jedes Mal im Frühling das erste Edelgemüse, das der Lateiner „asparagus officialis L.“ nennt.
Dabei kommt das Wort aus dem Griechischen. Daran sind also auch noch die Griechen schuld. Schade, denkt Herr Schobermann, der gern Griechisch essen geht, dass es den Spargel nur im Frühjahr gibt, weil er da nämlich sprosst und auch nur schmeckt, wenn er frisch gestochen wurde,
Schobermann erinnert sich, wie mühsam es in seinem Garten war, eine 20 Meter lange Reihe dieses Wurzelgeflechts in die Erde zu bringen und danach die Erde anzuhäufeln.
Inzwischen ist er dahinter gekommen, dass es einfacher ist, die weißen Stangen auf dem Markt käuflich zu erwerben.
Dabei hat er großen Respekt vor den fleißigen polnischen Saisonarbeitern, wie sie im Akkord
Rekordmengen aus der Erde stechen.
Er hat in jüngeren Jahren selbst einmal in der Landwirtschaft gearbeitet, zum Beispiel bei sengender Sonne Rüben verzogen und diese später von Wildkräutern frei gehackt, so dass er
am Abend nicht mehr aufrecht gehen konnte.
Als er an einem Verkaufsstand an einer verkehrsreichen Straße den Preis von 7,80 Euro
für das Kilo Spargel vernahm, gebrauchte er unvorsichtiger Weise das Wort „Abzocke“. „Ihr Spargel ist ja teurer als das Pfund Schinken, das Sie hier für 7,50 Euro verkaufen!“ ereiferte er sich.
Das hätte er lieber nicht sagen sollen. „Kommen Sie morgen früh zu uns und helfen Sie einmal den polnischen Arbeitern beim Stechen. Was Sie an einem halben Tag selbst stechen, dürfen Sie zum halben Preis mit nach Hause nehmen!“ Na, wenn das kein Angebot war!
Das Benzin für die Fahrt und seine kostbare Zeit durfte er allerdings dabei nicht rechnen.
Auch wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass „Bruchspargel“, genannt „III. Wahl“, am Verkaufsstand 3,70 Euro das Kilo kostete.
Am nächsten Morgen, um sechs Uhr empfing ihn der Vorarbeiter am Stand und fuhr ihn zur nächsten Spargelplantage .
Mit den freundlich gemeinten Grüßen „Dobroje utro“ („Guten Morgen“) und „Druschba“ („Freundschaft“) machte auf die Polen überhaupt keinen Eindruck. Im Gegenteil: Ihre Mienen schienen dem Neuankömmling gegenüber noch verschlossener zu sein. Schobermann ging ein Licht auf: Die Arbeiter verstanden zwar Russisch, aber zu den Russen und deren Sprache haben viele Polen nicht unbedingt ein ausgewogenes Verhältnis.
Man reichte ihm Handschuhe, eine Maurerkelle und ein langes stählernes Stechmesser.und wünschte ihm eine gute Ernte.
Wenig ermutigend war für Herrn Schobermann, dass der Vorarbeiter ihm sagte, 300 Kilogramm am Tag seien hier die Norm.
Nach gut einer halben Stunde Arbeit fragte er sich nicht mehr, weshalb sich Arbeitslose vor dem Spargelstechen drücken. Von außen betrachtet, sieht der Stechvorgang wunderbar leicht aus. „Wie findet man die Köpfe überhaupt?“ war sein nächster Gedanke.
Das angeblich so triebhafte Gemüse drang wegen der extrem kalten Tage trotz der Plastikbahnen nur spärlich an die Oberfläche.
Verzweifelt fing Schobermann an, wie ein Goldschürfer die Oberfläche der Erdwälle mit den Fingern abzutasten und zu durchkämmen.
Die Polen machten ihn wahnsinnig. Ständig stach einer ins Glück. Seine eigene Ausbeute machte lediglich zehn weiße Stangen auf 25 Metern aus. „Was ist das Geheimnis unseres durch die Geschichte schwer geprüften Nachbarvolkes?“ sinnierte er. „Sind es ihre Gene? Kommen sie mit dem untrüglichen Gefühl für Spargel auf die Welt?“
Er nahm alle Kraft zusammen, denn er wollte nicht wahr haben, dass die Polen so schnell mit vollen Körben außer Reichweite sein konnten.Es musste alles schneller gehen. „Will doch mal sehen, wer hier der größte Stecher ist!“, fühlte er sich an seiner Ehre gepackt.
Spargel, so sagt eine Küchenweisheit, soll die Libido anregen. Er packte den nächsten Triebkopf. „Hat schon was Phallisches“, sagte er sich beim Betrachten dieses dicken Kolbens.
Sein Rücken schmerzte bereits. Er fing an, das kostbare Frühgemüse zu hassen und nahm sich vor, die nächsten vierzehn Tage nur Erbsen und Bohnen aus der Dose zu essen. „Schmeckt doch auch! Ich pfeife auf den Spargel!“, sagte er sich zum Trost.
Vier Stunden nach der Ernte soll der Spargel am besten schmecken, hörte er den Vorarbeiter sagen. Bei 25 bis 30 Grad fühlt sich der Spargel richtig wohl, und rund einen Zentimeter pro Stunde kann er wachsen, wenn ihm so richtig behaglich ist, kam wie zum Hohn hinterher.
„Weshalb fragt er mich nicht, wie ich mich jetzt fühle? Ob m i r behaglich ist? Fühle ich überhaupt noch etwas?
Ich hasse euch alle! Ich finde einfach zu wenig Spargel“ schrie Schobermann laut in die sengende Sonne.
Inzwischen wusste er aber, wie er das Messer ansetzen musste, um die Stangen aus der Unterwelt zu befreien: Kopf packen, unter der Erde Körperkontakt herstellen, und zack: voll daneben! Seine Schnittflächen sahen überhaupt nicht sauber aus, sondern so, als hätte eine Kuh daran gerissen. Manches Mal hatte er auch nur einen Spargelkopf in der Hand.
Der Vorarbeiter besah sich den Schaden, schüttelte den Kopf und meinte, in der Sortierhalle würde das aussortiert werden. Man könnte dann Schobermanns Spargel zwar nicht mehr als dritte, aber noch als vierte oder fünfte Wahl wegen der vielen kleinen faserigen Stücke als „Suppenspargel“, sozusagen als „gröbsten Bruch“ für zwei Euro das Kilo unter die Leute bringen.
Schobermann war glücklich, dass es in der Sortierhalle nicht Spargel gab. Er hätte davon keinen Bissen hinunter gekriegt. Die Polen lachten, als er sich mehr auf die Bank legte als setzte und eine Schüssel mit Spaghetti Bolognese vorgesetzt bekam. Er brauchte jetzt Kalorien.
Nach dem Essen warf er die Handschuhe. Knappe fünf Kilo hatte er am Vormittag geschafft.
Zu Hause angekommen, hatte er nur noch Sinn fürs Bett.
Am nächsten Tag schien wieder die Sonne.Diesmal viel freundlicher, wie ihm schien.
Eine Freundin der Familie rief an, ob er nicht Lust hätte, im HEW-Kochstudio in Harburg Spargelgerichte zubereiten zu lernen. Nein, das möchte er nicht, gab er entschieden zur Antwort. Seine Ehefrau sprach ihn an: „Ich möchte dich heute zum Bruchspargel-Essen mit Petersilienkartoffeln und Schinken einladen! Schließlich hast du dir nach der gestrigen Anstrengung etwas ganz Besonderes verdient, mein Lieber!“
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